Mesopotamien: Handwerk und Technik in der Frühzeit

Mesopotamien: Handwerk und Technik in der Frühzeit
Mesopotamien: Handwerk und Technik in der Frühzeit
 
Der handwerklichen Produktion kam im Wirtschaftsleben des alten Mesopotamien nach der Landwirtschaft die wichtigste Rolle zu. Zum einen diente das Handwerk der Herstellung von Geräten, vor allem für den Ackerbau, zum anderen war es von entscheidender Bedeutung bei der Befriedigung von Luxusbedürfnissen der Oberschicht. Hinzu kamen als weitere wichtige Anwendungsbereiche das Militär-, Transport- und Bauwesen sowie die Schifffahrt.
 
Die Entwicklung der handwerklichen Produktion als eines selbstständigen, vom Ackerbau getrennten Wirtschaftssektors reicht in Vorderasien bis etwa in das 6. Jahrtausend v. Chr. zurück. Bereits zu Beginn des 3. Jahrtausends v. Chr. lassen mesopotamische Schriftquellen ein in Berufe untergliedertes Handwerk erkennen. In der Folgezeit vollzog sich ein Prozess der weiteren Spezialisierung innerhalb einzelner Handwerkszweige. Ein Großteil der handwerklichen Produktion in Mesopotamien konzentrierte sich in den Wirtschaftsbereichen der staatlichen und kultischen Institutionen, etwa in Palast und Tempel. Handwerker stellten Geräte für die Landwirtschaft - etwa Pflüge, Hacken oder Sicheln - her und verarbeiteten Edelmetalle, kostbare Steine und Hölzer zu Schmuck, Möbeln und kostbaren Gerätschaften.
 
Herrscherinschriften und andere Quellen preisen häufig die prächtige Ausstattung von Kultbauten und Palästen sowie die an Edelmetallen und kostbarem Gestein reichen Tempelschätze. Manchmal wird in diesen Texten auch direkt auf das Handwerk bzw. die Tätigkeit der Baumeister und Handwerker Bezug genommen, die in großer Zahl zu den entsprechenden Arbeiten herangezogen wurden. Neben den für Palast- und Tempelhaushalte tätigen Handwerkern, deren soziale Stellung im Einzelnen differenziert zu beurteilen ist, gab es stets auch die privaten handwerklichen Familienbetriebe, in denen sich die jeweilige Berufserfahrung und die handwerklichen Fertigkeiten über die Generationen vererbten. Hier fand auch die Handwerksausbildung statt, zum Teil auf der Basis Lehrverträge, wie spätbabylonische Urkunden aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. zeigen.
 
Die handwerkliche Produktion in Mesopotamien war eng mit dem Fernhandel verbunden, mussten doch einige dringend benötigte und begehrte Rohstoffe - z. B. Kupfer, Zinn, Gold, Silber, (Edel-)Steine oder Hölzer - zum Teil von weit her importiert werden. Neben den technologischen Fortschritten bildete also die Erweiterung und Intensivierung des Handels eine der wichtigsten Voraussetzungen für die weitere Entwicklung derjenigen Handwerkszweige, die sich mit der Verarbeitung von eingeführten Rohstoffen befassten. Auswirkungen hatte der Fernhandel aber auch auf diejenigen Handwerkszweige, die vom Rohstoffimport weitestgehend unabhängig waren, für deren Erzeugnisse es aber außerhalb Mesopotamiens einen Markt gab. Dies betraf etwa die Textilherstellung in Babylonien, deren Produkte nach den landwirtschaftlichen Erzeugnissen die wichtigsten Exportgüter darstellten.
 
Die umfangreichsten Hinterlassenschaften altmesopotamischen Handwerks sind Töpferwaren, für die der reichlich vorhandene einheimische Ton die Grundlage bot. Bereits im 6./5. Jahrtausend v. Chr. war die Keramikproduktion zu einer ersten Blüte gelangt, wovon die aus verschiedenen Orten jener Zeit überlieferte Buntkeramik Zeugnis ablegt. Die Gefäße wurden auf einer mit der Hand zu drehenden Arbeitsplatte hergestellt. Im Laufe der Zeit entwickelte sich durch Zentrierung der (runden) Formplatte die langsam drehende Töpferscheibe. Im 4. Jahrtausend v. Chr. setzte sich schließlich die schnell rotierende Töpferscheibe durch, sodass nunmehr die Möglichkeit einer keramischen Massenproduktion gegeben war, gekennzeichnet durch eine Vielfalt von Gefäßformen und -typen. Seit dem späten 5. Jahrtausend v. Chr. sind Brennöfen mit einer Feuerungs- und einer Brennkammer nachweisbar.
 
Nicht zuletzt aufgrund der Erfahrungen in der Töpferei kam es im 6. Jahrtausend v. Chr. zu wesentlichen Neuerungen im Bereich der Metallgewinnung und -verarbeitung. Dabei handelte es sich um das Ausschmelzen der Metalle, insbesondere des Kupfers, aus den Erzen mittels hoher Temperaturen, nachdem man zuvor bereits gediegen vorgefundenes Kupfer, Gold und teilweise Meteoreisen kalt verarbeitet hatte. Spätestens im 4. Jahrtausend v. Chr. kamen die ersten Legierungen im Bereich der Kupfermetallurgie auf, zunächst die Arsen-Bronze, seit dem 3. Jahrtausend v. Chr. die Zinn-Bronze. Die Entwicklung der Bronzemetallurgie war für die Geräte- und Waffenherstellung deshalb von besonderer Bedeutung, weil die Bronze gegenüber dem reinen Kupfer eine größere Festigkeit und damit bessere Gebrauchseigenschaften besaß. Allerdings blieb bis in das 2. Jahrtausend v. Chr. hinein Kupfer das entscheidende Material der Geräteproduktion. Gegen Ende des 2. Jahrtausends v. Chr. gewann zunehmend das Eisen als Werkstoff an Bedeutung. Bereits im 3. Jahrtausend v. Chr. als seltenes und kostbares Metall bekannt und geschätzt, wurde Eisen im 8./7. Jahrhundert v. Chr. zum Gebrauchsmetall, aus dem Waffen, Werkzeuge und andere Gerätschaften hergestellt wurden. Bereits in jener Zeit kam es auch zur Produktion von Stahl (kohlenstoffangereichertem Eisen). Gleichfalls in das 1. Jahrtausend v. Chr. kann man die früheste bewusst hergestellte Legierung von Kupfer und Zink, also Messing, datieren.
 
Die Metallverarbeitung im alten Mesopotamien war untrennbar mit einer Vervollkommnung der Gusstechniken verbunden. Neben dem Guss in offener Form (Herdguss) und dem Schalenguss praktizierte man auch den technisch anspruchsvollen Guss aus verlorener Form. Im Unterschied zu den beiden erstgenannten Techniken, die auf die massenhafte Herstellung gleichartiger Gegenstände gerichtet waren, bedeutete der Guss aus verlorener Form die Erzeugung von Unikaten. Praktiziert wurden auch verschiedene Schmiede- und Treibarbeiten, ferner das Ziselieren und Gravieren. Bekannt waren auch das Nieten und Löten, in der Goldschmiedekunst die Granulation, das Filigran, das Plattieren oder die Inkrustation. Steinerne Statuen und Stelen, Siegelzylinder und Perlen aus (Halb-)Edelstein sowie Steingefäße bezeugen die hohe Kunstfertigkeit der Bildhauer und Steinschneider, die unterschiedliche Techniken mit entsprechenden Bearbeitungsgeräten zur Anwendung brachten. Darüber hinaus darf Mesopotamien als das Ursprungsgebiet der Glasherstellung gelten. Die frühesten Glasgefäße stammen aus der Mitte des 2. Jahrtausends v. Chr., während aus dem 1. Jahrtausend v. Chr. keilschriftliche Glasrezepte überliefert sind.
 
Wichtige technische Erfindungen kamen in den Bereichen der Landwirtschaft, des Bau- und des Militärwesens zur Anwendung. So ist dem alten Mesopotamien die Erfindung des Wagenrades zu verdanken. Im Rahmen der landwirtschaftlichen Produktion wurde neben der Hacke und anderen Geräten auch der Pflug zum Einsatz gebracht, wobei hier der Säpflug mit Saattrichter von besonderer Bedeutung war. Im Zusammenhang mit der Anlage von Bewässerungskanälen und Gräben spielte der Zugspaten als Arbeitsgerät eine wichtige Rolle. Vorbereitung und Durchführung von Großbauten zeugen sowohl von den berufspraktischen Fähigkeiten als auch von den mathematischen Kenntnissen der Baumeister. Hinzu kommt das Wissen um technische Vorgänge, die sich mit einer Vielzahl von sumerischen und akkadischen Fachausdrücken verbanden und deren Kenntnis unabdingbare Voraussetzung für erfolgreiches Bauen darstellte. Allgemeine Bedeutung erlangten auch die Seilrolle und das Schöpfwerk (Schaduf). Zur Entwicklung der Militärtechnik leisteten insbesondere die Assyrer im 1. Jahrtausend v. Chr. wesentliche Beiträge. Die Neuerungen der Assyrer betrafen aber auch den zivilen Bereich; hier ist vor allem der Bau eines großen Aquädukts zu nennen, der - unter Sanherib errichtet - Bestandteil umfangreicher Wasserversorgungsmaßnahmen für die Stadt Ninive war.
 
Dr. Hans Neumann

Universal-Lexikon. 2012.

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